Warum die Evangelischen "Protestanten" heißen und was das Allgäu damit zu tun hat

Mit geballter Faust, den Fuß auf der Bannandrohungsbulle des Papstes und die Bibel in der Hand. So kämpferisch steht Martin Luther auf seinem Sockel im Vorraum der Gedächtniskirche von Speyer. Das Denkmal erinnert an den 2. Reichstag zu Speyer im Jahr 1529. Er gilt als die Geburtsstunde der "Protestanten".
 

Der 2. Reichstag zu Speyer

1529 waren alle Fürsten und Reichsstädte zu einem 2. Reichstag nach Speyer gerufen worden. Man wollte die Streitereien wegen der Religion staatlich regeln, nachdem die Bitte der Evangelischen, religiöse Fragen auf einem Konzil zu klären, kein Echo fand. Also lud der Kaiser zum Reichstag. Er selbst kam jedoch nicht. Er blieb in Spanien und beauftragte stattdessen seinen Bruder Ferdinand mit der Leitung.

Üblicherweise begann ein Reichstag mit einer Art Regierungserklärung des Kaisers. Wenn er nicht anwesend war, wurde sie verlesen. Alle warteten diesmal gespannt auf den kaiserlichen Brief. Aber der kam nicht. Das war die Chance für Ferdinand, König von Österreich. Der verfasste eine Regierungserklärung nach seinem Geschmack und gab sie als Originalschreiben des Kaisers aus. Als dieser Text dann verlesen wurde, waren alle über den harschen Ton überrascht.
 

Die "Protestatio"

Auf dem Reichstag zu Speyer von 1526 hatte man sich ursprünglich darauf verständigt, dass es jeder mit der Religion so halten solle, wie er (Fürst) es vor König und Gott rechtfertigen könne. Laut Ferdinands Erklärung sollte nun aber das Wormser Edikt von 1521 wieder eingesetzt werden, das u.a. Luther zum Ketzer erklärt hatte.

Dagegen setzte sich jedoch die evangelische Minderheit zur Wehr. Am 19. April 1529 traten sechs Fürsten (Kurfürst Johann von Sachsen, Markgraf Georg von Brandenburg, Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg, Landgraf Philipp von Hessen, Franz, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, und Fürst Wolf zu Anhalt) und 14 Reichsstädte (Straßburg, Augsburg, Ulm, Konstanz, Lindau, Memmingen, Kempten, Nördlingen, Heilbronn, Reutlingen, Isny, St. Gallen, Weißenburg und Windsheim) gegen die Verhängung der Reichsacht gegen Martin Luther sowie der Ächtung seiner Schriften und Lehre ein. Sie verfassten ein Schreiben, in dem sie die ungehinderte Ausbreitung des evangelischen Glaubens forderten.

Ein Kernsatz aus der Protestationsschrift lautet:

"In Sachen Gottes Ehre und der Seele Seligkeit belangend
 muss ein jeglicher für sich selber
vor Gott stehen und Rechenschaft geben."

Inzwischen gilt die Protestation der Fürsten und Städte als Geburtsstunde des Protestantismus und gab den Evangelischen einen zweiten Namen: Protestanten.
 

Die Tragik der Geschichte

Die Streitigkeiten fanden jedoch kein Ende und knapp 100 Jahre später gipfelten sie im Dreißigjährigen Krieg. Tragisch, dass durch eine Fälschung so viel Streit und Krieg über Europa und die Christenheit kam. Vor ca. 100 Jahren fand man in spanischen Archiven das Originalschreiben des Kaisers. Es war im Gegensatz zur Fälschung um Ausgleich bemüht. Dieser Brief sollte mit einem Schiff von Spanien befördert werden, doch wegen eines heftigen Sturmes konnte das Schiff nicht rechtzeitig auslaufen.

Was wäre Europa, den Kirchen und vielen Christen beider Konfessionen erspart geblieben, wäre dieser Brief rechtzeitig angekommen.
 

Der lange Weg zur Toleranz

Dennoch gilt die Protestio heute als eine wichtige Etappe auf dem langen Weg zur Toleranz, denn damals wurde festgeschrieben, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist. Jede(r) darf seine Meinung haben und auf seine Weise nach der Wahrheit suchen.

Wie lang und steinig dieser Weg zur Akzeptanz anderer Überzeugungen jedoch auch für die Protestanten noch gewesen ist, zeigt eine Ausstellung in der St. Mangkirche/Kempten von Juli bis Ende Oktober mit Beispielen aus 5 Jahrhunderten aus Kempten und dem Allgäu. 

H. G. Maser